FACHARTIKEL
Lagenden des Arbeitsrechts
Als Arbeitsrechtler hört der Verfasser dieses Kurzbeitrages aus dem Munde seiner Mandanten immer wieder gleichlautende juristische Aussagen, die im Hinblick auf ihren Wahrheitsgehalt und ihre vermutliche Herkunft getrost als Stammtischgerüchte bezeichnet werden können. Mit dem Ziel, diese hartnäckigen Irrtümer endgültig in das Reich der juristischen Märchen zu verbannen, wird zu diesen „Legenden des Arbeitsrechts“ wie folgt Stellung genommen:
1. Solange ein Arbeitnehmer krank ist, darf ihm der Arbeitgeber nicht kündigen.
Unsinn! Die Kündigung kann grundsätzlich zu jeder Zeit und an jedem Ort
erklärt werden, somit auch während des Urlaubs, der Krankheit sowie an Sonn-
und Feiertagen. Nur ganz ausnahmsweise kann eine sog. ungehörige Kündigung,
die zur Unzeit ausgesprochen wird, treuwidrig (§ 242 BGB) und damit
rechtswidrig sein. Um welche Fälle es sich hier handeln könnte, hat das
Bundesarbeitsgericht bislang leider offen gelassen. Selbst den Ausspruch einer
Kündigung kurz nach der Beerdigung eines Lebensgefährten des Arbeitnehmers
hat das höchste deutsche Arbeitsgericht in einer Grundsatzentscheidung
sachlich nicht beanstandet (Urteil vom 05.04.2001 – 2 AZR 185/00).
2. Die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses kann auch mündlich erfolgen.
Das war früher mal richtig. Seit Inkrafttreten des (neuen) § 623 BGB am
01.05.2000 gilt, dass jede Kündigung eines Arbeitsverhältnisses, also auch
eine betriebsbedingte Kündigung, schriftlich erfolgen muss. Das hört sich
zwar relativ einfach an, allerdings scheitern sehr viele Arbeitgeber bereits an
diesem Schriftformerfordernis.
Zunächst erfordert die Schriftform eine eigenhändige Namensunterschrift des
Ausstellers des Kündigungsschreibens. Was unter einer Namensunterschrift zu
verstehen ist, ergibt sich aus dem Sprachgebrauch und dem Zweck der
Formvorschrift. Wie das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm (Urteil vom 13.06.2007
– 3 Sa 514/07) bestätigt hat, muss die Namensunterschrift unter einem
Kündigungsschreiben zur Erfüllung der Schriftform einen
individuellenSchriftzug aufweisen und einzelne Buchstaben erkennen lassen, die
für eine Wiedergabe des vollen Namens und gegen das Vorliegen einer bloßen
Paraphe sprechen.
In dem vom LAG Hamm zu entscheidenden Fall ließen die Richter das
Schriftzeichen nicht als Namensunterschrift gelten. Der Anfang des Schriftzuges
wies nur einen leicht nach rechts ansteigenden langen Strich auf, der in einem
Bogen in einen waagerecht nach links verlaufenden Strich und mit einem weiteren
nach rechts verlaufenden Haken auslief. Der Rest des Schriftzeichens bestand
lediglich in einem langen, flach nach rechts gerichteten Aufstrich mit einem
kurzen Haken und einem weiteren leicht schräg nach rechts oben gerichteten
Aufstrich. Dieses Beispiel belegt, dass eine Kündigung bereits deshalb
unwirksam sein kann, weil sich der Arbeitgeber nicht die Mühe gemacht hat, die
Kündigung mit einem charakteristischen Schriftzug zu unterschreiben. Es lohnt
sich deshalb immer, ein Kündigungsschreiben auch in dieser Hinsicht auf
etwaige Mängel zu überprüfen.
Die Schriftform ist weiterhin nicht gewahrt, wenn die Kündigung dem
Arbeitnehmer in Form einer Fotokopie oder als Telefax zugeht. Auch eine
Kündigung per Computer-Fax, E-Mail oder SMS ist unwirksam.
3. Jede arbeitgeberseitige Kündigung muss eine Begründung enthalten.
Falsch! Die vom Arbeitgeber erklärte Kündigung muss in der Regel nicht
begründet werden. Das Kündigungsschreiben muss nur in Ausnahmefällen eine
Begründung enthalten, etwa bei der Kündigung eines Auszubildenden nach Ablauf
der Probezeit (§ 15 Absatz 3 BBiG). Vom Begründungszwang zu unterscheiden ist
die Verpflichtung des Arbeitgebers. Im Falle einer fristlosen Kündigung aus
wichtigem Grund muss der kündigende Arbeitgeber auf Verlangen des
Arbeitnehmers den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen. Dies
ergibt sich aus § 626 Absatz 2 Satz 3 BGB.
Ein Verstoß gegen diese Verpflichtung macht die erklärte Kündigung indes
nicht unwirksam, sondern löst allenfalls unter bestimmten Voraussetzungen
Schadensersatzansprüche des Gekündigten aus, etwa wenn dieser im Vertrauen
darauf, dass kein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Absatz 1 BGB vorlag, eine
Kündigungsschutzklage erhoben hat und hierdurch Rechtsanwaltskosten entstanden
sind. Wissenswert ist ferner, dass dem gekündigten Arbeitnehmer gemäß § 1
Absatz 3 Satz 1 letzter Halbsatz KSchG im Falle einer betriebsbedingten
Kündigung auf Verlangen die Gründe mitzuteilen sind, welche zu der
getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. Aber hierbei handelt es sich auch
nur um eine Nebenpflicht, deren Verletzung nicht zur Unwirksamkeit der
Kündigung führt.
4. Vor einer verhaltensbedingten Kündigung muss dreimal abgemahnt werden.
Diese weit verbreitete Annahme ist falsch. Bei besonders schwerwiegenden
Verstößen gegen die Pflichten aus dem Arbeitsvertrag, z.B. bei einem
Diebstahl zu Lasten des Arbeitgebers, kann sogar ohne eine vorangegangene
Abmahnung fristlos gekündigt werden. Bei weniger schwerwiegenden
Pflichtverletzungen, etwa im Leistungsbereich, ist eine bestimmte Anzahl von
Abmahnungen nicht gesetzlich vorgeschrieben. Da es jedoch für das Vorliegen
eines Kündigungsgrundes gemäß § 1 Absatz 2 KSchG darauf ankommt, dass eine
sog. „negative Zukunftsprognose“ besteht, kann es je nach Schwere der
Pflichtverletzung nicht ausreichend sein, wenn der Arbeitnehmer nur einmal
abgemahnt wurde. Dies bedeutet, dass die Zahl der erforderlichen Abmahnungen
immer von den Gegebenheiten des Einzelfalls abhängig ist.
5. Eine Kündigung während der Kurzarbeit ist generell unzulässig.
Diese Aussage ist nicht richtig. Viele Arbeitnehmer sind der Ansicht, dass sie
sich für die Dauer der Arbeitszeitverkürzung in einer unkündbaren Stellung
befinden. Dies ist allerdings ein Irrtum, denn generell steht dem Arbeitgeber
trotz der Kurzarbeit weiterhin die Möglichkeit der betriebsbedingten
Kündigung offen, allerdings darf sich die Begründung nicht auf Tatsachen
beziehen, die bereits zur Anordnung der Kurzarbeit geführt haben.
6. Schwerbehinderte Arbeitnehmer sind unkündbar.
Nein! Die Kündigung von Schwerbehinderten oder diesen gleichgestellten
Arbeitnehmern ist nicht unmöglich. Schwerbehinderte Menschen genießen im
Vergleich zu nichtbehinderten Menschen lediglich einen zusätzlichen
Kündigungsschutz. Dieser Schutz äußert sich darin, dass Voraussetzung für
die Wirksamkeit der Kündigung eines schwerbehinderten Menschen ist, dass von
Seiten des Arbeitgebers vorher die Zustimmung des Integrationsamtes eingeholt
wurde. Eine vom Arbeitgeber ohne diese Zustimmung ausgesprochene Kündigung ist
stets unwirksam. Eine mit Zustimmung erfolgte Kündigung kann vom Gekündigten
im weiteren Verlauf mit der Erhebung der Kündigungsschutzklage angegriffen
werden. Vom zuständigen Arbeitsgericht ist die Kündigung dann auf rechtliche
Fehler hin zu überprüfen.
7. Der Betriebsrat muss der arbeitgeberseitigen Kündigung zustimmen.
Von wegen! Soweit im Unternehmen des Arbeitgebers ein Betriebsrat installiert
ist, muss der Arbeitgeber nach § 102 BetrVG den Betriebsrat vor Ausspruch der
beabsichtigten Kündigung lediglich ordnungsgemäß anhören. Im Gegensatz zu
§ 103 BetrVG ist eine Zustimmung des Betriebsrates nicht nötig. Verlangt wird
nur eine Beteiligung des Betriebsrates in Form einer umfassenden Anhörung
durch den Arbeitgeber. Für die Wirksamkeit der Kündigung spielt es damit im
Ergebnis keine Rolle, ob der ordnungsgemäß angehörte Betriebsrat der
Kündigung zustimmt oder seinen Widerspruch erklärt.
Die Praxis zeigt immer wieder, dass Arbeitgeber häufig enorme Probleme damit
haben, die Anhörung ordnungsgemäß durchzuführen. Entsprechende
Anhörungsmängel haben stets zur Folge, dass die Kündigung unwirksam ist,
ohne dass es auf ein Verschulden des Arbeitgebers ankommt. Dabei steht die
unvollständige Unterrichtung der unterbliebenen Unterrichtung gleich. Die
Anhörung des Betriebsrats hat nämlich den Zweck, den Arbeitgeber in die Lage
zu versetzen, sich im Rahmen seiner Trennungsentscheidung mit etwaigen
Argumenten des Betriebsrates inhaltlich auseinander zu setzen. Dieses Anliegen
gilt unabhängig davon, ob die vom Betriebsrat vorgebrachten Einwände
überhaupt rechtliche Konsequenzen auslösen können. Im Streitfall hat der
Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess zu beweisen, dass der Betriebsrat vor
Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß angehört wurde. Gelingt ihm dies
nicht, so bleibt dem Gericht nichts anderes übrig, als der
Kündigungsschutzklage des betroffenen Arbeitnehmers allein schon aus diesem
Grunde stattzugeben.In der Praxis geschieht dies viel häufiger als man
annehmen sollte, etwa weil dem Betriebsrat die wesentlichen Sozialdaten des zu
kündigenden Arbeitnehmers nicht mitgeteilt oder die Kündigungsgründe nur
pauschal angegeben wurden.
8. Gekündigte Arbeitnehmer haben automatisch einen Anspruch auf Abfindung.
Absolut falsch! Gemäß § 7 KSchG gilt eine Kündigung als von Anfang
rechtswirksam, wenn der betroffene Arbeitnehmer nicht innerhalb einer Frist von
drei Wochen (§ 4 Satz 1 KSchG) beim Arbeitsgericht eine Klage auf Feststellung
erhebt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist
(Kündigungsschutzklage). Die Vermutung vieler Arbeitnehmer, dass ihnen nach
jeder Kündigung automatisch ein Rechtsanspruch auf eine Abfindung zusteht, ist
aus diesem Grund unzutreffend. Nur diejenigen Arbeitnehmer, die nach Erhalt
einer Kündigung fristgerecht eine Kündungsschutzklage erheben, haben in der
Regel die Aussicht auf einen finanziellen Ausgleich für den Verlust Ihres
Arbeitsplatzes.
Eine in der Praxis eher selten anzutreffende Ausnahme von dieser Regel stellt
die Kündigung gemäß § 1a KSchG dar. Seit dem 01.01.2004 hat der Arbeitgeber
nach dieser Vorschrift die Möglichkeit, dem Arbeitnehmer bei betriebsbedingten
Kündigungen bereits im Kündigungsschreiben ein gesetzliches Abfindungsangebot
zu machen. Erhebt der Arbeitnehmer daraufhin keine Kündigungsschutzklage, so
führt dies zu einem gesetzlichen Abfindungsanspruch in Höhe eines halben
Monatsverdienstes pro Beschäftigungsjahr. Bei derartigen Angeboten ist jedoch
Vorsicht geboten. Hintergrund ist nämlich oft das Wissen des Arbeitgebers,
dass er im Falle einer arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzung zuweilen sehr
viel höhere Abfindungen zahlen muss. Deshalb sollte auch im Falle des Erhaltes
einer Kündigung gemäß § 1a KSchG die Erhebung einer Kündigungsschutzklage
ernsthaft in Betracht gezogen werden.
9. Die Abfindung wird auf das Arbeitslosengeld angerechnet.
Das wäre schlimm! Von Arbeitnehmern wird immer wieder die Befürchtung
geäußert, dass die Abfindung auf das Arbeitslosengeld angerechnet werde.
Dieser weit verbreitete Irrglaube hat seinen Grund wohl darin, dass vor einigen
Jahren tatsächlich eine solche Anrechnung von Abfindungen auf Arbeitslosengeld
stattgefunden hat. Die damalige Regelung wurde aber schon längst abgeschafft.
Inzwischen findet eine Anrechnung von Abfindungen auf das Arbeitslosengeld
grundsätzlich nicht mehr statt. Nur unter bestimmten Voraussetzungen, die in
§ 143a SGB III gesetzlich geregelt sind, ist heute noch eine Anrechnung
möglich.Nach § 143a SGB III ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld bis zu
einem Jahr, wenn das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung der ordentlichen
Kündigungsfrist beendet worden ist und der Arbeitslose vom Arbeitgeber eine
Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistungen erhalten oder
zubeanspruchen hat. Aus diesem Grund stellt es einen anwaltlichen Kunstfehler
dar, sich mit dem Arbeitgeber auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses und
die Zahlung einer Abfindung zu einigen, wenn dabei nicht die ordentliche
Kündigungsfrist (§ 622 BGB) eingehalten wird. Dies gilt auch dann, wenn
Arbeitgeber und Arbeitnehmer einen Aufhebungsvertrag schließen oder sich nach
erfolgter Kündigung auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen
Zahlung einer Abfindung einigen (Abwicklungsvertrag).
10. Die Abfindung muss nicht versteuert werden.
Das gilt (leider) schon längst nicht mehr. Früher gab es für Abfindungen
Steuerfreibeträge, was zur Folge hatte, dass zumindest ein Teil der Abfindung
nicht versteuert werden musste. Mit Wirkung zum 01.01.2006 sind diese
Steuerfreibeträge entfallen. Die alten Freibeträge finden nur noch Anwendung,
wenn der Abfindungsanspruch vor dem 01.01.2006 entstanden ist oder die
Kündigungsschutzklage vor dem 01.01.2006 bei Gericht eingereicht wurde. Da
dies allenfalls noch wenige „Altfälle“ betrifft, kann heute generell
gesagt werden, dass eine Abfindung ganz normal zu versteuern ist. Eine
Begünstigung findet nur noch in der Form statt, dass Abfindungen nach der sog.
„Fünftelregelung“ (§ 34 EStG) versteuert werden. Bei der
„Fünftelregelung“ wird so gerechnet, als würde man fünf Jahre lang 1/5
der Abfindung erhalten. Auch wenn die so berechnete Steuern auf einem Schlag an
das Finanzamt entrichtet werden muss, führt dies infolge einer Abschwächung
des Progressionseffektes in den meisten Fällen zu einem spürbaren
Steuervorteil.
11. Die Kosten einer arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzung trägt der Verlierer.
Nein! Die Kosten ihres Rechtsanwalts trägt bis zum Abschluss der ersten
Instanz jede Partei selbst, und zwar auch dann, wenn der Prozess gewonnen wird,
denn eine Kostenerstattungspflicht besteht in der ersten Instanz nicht. Erst im
Berufungs- oder Revisionsverfahren trägt der Verlierer des Rechtsstreits die
Kosten für die anwaltliche Vertretung des Gegners. Dies ergibt sich aus der
gesetzlichen Regelung in § 12a ArbGG.